Der Doppelgänger
Auch wenn bei uns im Park grundsätzlich sehr viel los ist und gerade sonntags auch vermehrt unbekannte Hunde unterwegs sind, so kennt unter den "Ansässigen", also denjenigen, die jeden Tag dort ihre Hunde auslüften, eigentlich jeder jeden. Man weiß, welche Hunde sich gut verstehen und welche weniger gut, wer sich ignoriert, wer gerne mal Stunk macht und wer immer zu einem Spielchen bereit ist. Die Gruppe auf "unserer" inoffiziellen Hundewiese besteht aus einem festen Kern von etwa sieben Hunden, die sich alle sehr gut vertragen und bei deren Anblick auch aus größerer Entfernung Amy schon anfängt zu quietschen und zu tanzen.
Zum festen Kern gehört auch Joscha, ein noch jüngerer Elorüde, der bis zu seiner Kastration Anfang des Jahres Amys ganz große Liebe war. Mittlerweile ist er auf der Favoritenskala ein paar Plätze abgerutscht, aber Amy freut sich immer noch ein Loch in den Bauch, wenn sie ihn trifft, auch spielen sie immer noch sehr schön miteinander.
Heute morgen tauchte Joscha am anderen Ende der Hundewiese auf und wurde von Amy natürlich sofort entdeckt. Ihre mit großen Kulleraugen und noch größerem Grinsen im Gesicht vorgetragene Bitte "Darf ich, darf ich, büddeeeee?" konnte ich natürlich nicht abschlagen und so sauste sie ab über die Wiese in Richtung Joscha.
Und während ich so meinen Hund bewunderte (Amy im gestreckten Galopp ist ein sehr hübscher Anblick), dachte ich mir noch: "Der Joscha ist aber dünn geworden..."
Amy erreichte das andere Ende der Wiese, schritt in gemäßigterem Tempo zur Begrüßung und ich dachte mir: "Der Joscha ist aber hell geworden...".
Mittlerweile hatte ich auch schon die Hälfte der Strecke zurückgelegt, beobachtete die beiden Hunde, die sich mit wedelnden Propellerruten begrüßten und schon anfingen zu toben, da dachte ich mir: "Der Joscha ist aber groß geworden..."
Mit einem hässlichen Knirschen in den Gehirnwindungen dämmerte es mir so langsam, dass ich Amy gerade auf einen wildfremden Hund losgelassen hatte!
Meine Entschuldigung hat das Frauchen von Enno - so heißt nämlich Amys neuer Schwarm - mit einem Lachen angenommen. Sie hatte Joscha gestern bereits getroffen und Verständnis für die Verwechslung meinerseits. Die beiden haben noch ein wenig getobt, dann scheuchte uns der wieder einsetzende Regen in verschiedenen Richtungen davon.
Amy hat also einen neuen Spielkameraden, die Spitz-Fraktion im Park ein Mitglied mehr und ich habe die Erkenntnis gewonnnen, dass im Nebel alle Elos weiß sind.
Trotzdem werde ich bei Gelegenheit mal meine Sehstärke checken lassen!
Selbstverständlichkeiten
Geht es euch auch manchmal so,dass ihr viele Dinge bei euren Hunden als völlig normal betrachtet? Als Selbstverständlichkeiten, nicht der Rede wert, als so alltäglich, dass es euch nicht mehr bewusst auffällt? Und ihr darüber ganz vergesst, welche große Leistung eure Vierbeiner dabei eigentlich vollbringen? Die bei genauerer Betrachtung überhaupt nicht selbstverständlich sind? Und dass dann eines Tages etwas passiert, was euch diese Tatsache so eindrücklich klar macht, dass ihr euch für eure bisherige Einstellung richtiggehend schämt? Mir ist es heute mit Amy so ergangen.
Bis heute war es für mich völlig selbstverständlich, dass Amy mich jeden Tag zur Uni begleitet und dabei völlig ungerührt im grundsätzlich überbesetzten Bus ein Nickerchen hält, während der Fahrer mit seiner Fahrweise ebenso grundsätzlich versucht, auch den robustesten Magen zur Aufgabe zu zwingen. Dass sie inmitten des Gedränges ruhig alle Annäherungsversuche der Fahrgäste toleriert (und davon gibt es reichlich), sich seelenruhig begrabbeln lässt und ich mir noch nicht einmal Gedanken darüber mache, ob sie nicht doch einmal ihrem Unmut schnappenderweise Luft macht. Ich weiß, dass sie es nicht tun wird.
Ebenso normal ist für mich ihre absolute Verträglichkeit mit Artgenossen, die Spaziergänge mit ihr so angenehm und entspannend machen. Selbst wenn - so wie letzte Woche erst geschehen - sie plötzlich und grundlos angegriffen wird und sich der andere Hund in ihrer Flanke verbeißt, so tut das ihrer Begeisterung für andere Hunde keinen Abbruch.
Und dass sie an der Uni den ganzen Tag unter dem Schreibtisch liegt, keinerlei Ansprüche in Punkto Spiel, Gassigänge und Leckerlies anmeldet (zuhause tut sie das sehr wohl) und sich größtenteils einfach unsichtbar macht, auch das nahm ich bisher einfach als Normalität hin.
Bis heute Abend. Auf der Busfahrt nach Hause verlief erst alles wie gehabt: ein Gedränge wie in der Sardinenbüchse, natürlich hatten wir wieder mal nur einen Stehplatz erwischt; eingezwängt zwischen Babybuggy und gestressten Mitpassagieren lag Amy auf dem Boden und hielt ein Nickerchen. Same procedure as every day - bis zur Vollbremsung, welche dazu führte, dass der Babybuggy, mitsamt seinem nicht einmal ein Jahr alten Insassen den Gesetzen der Physik folgte, kippte und seitlich auf den Boden krachte. Und Amy dabei restlos unter sich begrub. Nun hätte ich in so einer Situation alle möglichen Reaktionen von Amy erwartet, von einem Schreckensquietscher über hektisches Gezappel bis hin zu einem Abwehrschnapper in Richtung des vermeintlichen Angreifers. Jede davon wäre wohl im Rahmen des normalen Hundeverhaltens verständlich und nachvollziehbar gewesen. Nur mit dem, was tatsächlich passierte, hätte ich - zumindest bei Amy - nicht gerechnet. Es passierte nämlich… Nichts! Überhaupt nichts. Kein Quietschen, kein Aufspringen, Schnappen schon gleich dreimal nicht. Das Ergebnis dieser Aktion war ein zutiefst erschrockenes Kleinkind und eine etwas verdattert dreinschauende, aber völlig gelassene Amy, die sich nach einem kurzen Situationscheck wieder hinlegte und demonstrativ langweilte.
Den Rest der Fahrt habe ich damit verbracht, meinen Hund zu beobachten und endlich einmal zu registrieren, welche unerschütterliche Ruhe meine ehemals so nervöse Maus an den Tag legt. Da stiefeln die Fahrgäste um sie herum und manchmal sogar über sie hinweg - Amy zuckt nicht mal mit den Ohren.
Da steigt eine Mutter mit zwei Kleinkindern ein (eines davon im Buggy), die bei Amys Anblick begeistert loskrähen, ihr an den Fang greifen und zappelnd die Füße unter das Kinn hauen. Amy reagiert lediglich mit freundlichem, aber zurückhaltenden Interesse.
Da rauscht der Bus mit Vollgas um die Kurven, dass selbst Hände keine große Hilfe dabei sind, Halt zu finden. Amy gleicht die Bewegungen des Busses mit einem Können und einer Routine aus, als hätte sie ihr ganzes Leben lang nichts anderes gemacht. Alles völlig selbstverständlich... Nun, zumindest für mich nicht mehr!
Übrigens, dem Kind ist nichts weiter passiert. Schließlich ist es ja weich gelandet.
"Und wie alt ist Ihrer?"
Oft sind Missverständnisse ja ein Anlass zu Verstimmungen und unnötigen Streitereien.
Manchmal allerdings sind sie der Grund für ungläubiges Staunen und daran anschließende Heiterkeitsausbrüche.
So erlebt gestern in Kassel auf der internationalen Zuchtschau des VDH.
Um Amy etwas Abwechslung zu ihrem tagtäglichen Mützeneinerlei zu bieten, statteten wir dem Eurasierring einen Besuch ab, wo Amy sofort einen Jungrüden nach ihrem Geschmack fand und ausgiebig bespielte. Zwischen den hüpfenden Hunden und bald im Leinenwirrwar verheddert unterhielt ich mich mit der Besitzerin des Rüden, wobei das Gespräch sehr bald aufs Alter kam: "Wie alt ist denn Ihrer?" Meiner, von leichter Resignation (Hund ist bald reif für die Veteranenklasse und immer noch kein bisschen weise) durchwachsener Antwort: "siebeneinhalb" folgte sogleich ein freudestrahlendes: "Meiner ist jetzt acht geworden". Gemeint waren Monate...
Kurze Zeit später, selbe Rasse, anderes Exemplar, selbe Frage, selbe Antwort. Kommentar des Besitzers: "Ach ja, meiner ist jetzt elf. Nächsten Monat wird er ein Jahr alt"
Beide Male reagierten die anderen mit Staunen, wenn ich erklärte, dass Amy sieben JAHRE alt wäre.
Weshalb ich über diese Fehleinschätzungen so überrascht war, erstaunt mich selber. Schließlich ist dieses Spielchen nichts neues für mich.
Auch Barry wurde immer deutlich jünger geschätzt, als er tatsächlich war, das schönste Erlebnis hatten wir auf einem Schlittenhunderennen:
An einem Verkaufsstand kam ich mit den Futtervertretern ins Gespräch, die an Barry sofort eine Narren gefressen hatten. Klarer Fall, dieser Knuddel konnte nur mit ihrem Futter wirklich glücklich werden, alles was sie brauchten war sein Alter, also fragten sie nach. Auf meine Antwort "Acht" drückten sie mir ein paar Probetütchen Welpenfutter in die Hand...
Und wie alt ist Ihrer…?